Aufregender als jedes Rockkonzert
Lukas Bärfuss’ bitterböser Ruanda-Roman Hundert Tage
Am Ende landet der »große weiße Engel« und bringt den geschlagenen Helden zurück in das Land der »Unschuldigen«. Was so märchenhaft klingt, ist das Finale eines Höllentrips. Der preisgekrönte Dramatiker Lukas Bärfuss erzählt in seinem Romandebüt vom Völkermord in Ruanda, von vergeblicher Entwicklungshilfe und schuldhaften Verstrickungen. Ganz unverhohlen macht er sein Heimatland, die Schweiz, mitverantwortlich am achthundertausendfachen Mord der »Hutu« an den »Tutsi«. Wie das?
Bärfuss behauptet, dass in jahrzehntelanger Aufbauhilfe aus ruandischen Ackerbauern und Viehzüchtern redliche Vollstrecker »unserer Tugenden« geworden sind. »Disziplin« und »Ordnung« seien schließlich die »Voraussetzung für einen Massenmord«. Die Demokratie-Versessenheit der Europäer habe sie blind dafür gemacht, dass hinter der republikanischen Fassade der Präsidentschaft Habyarimanas ein diktatorischer Clan sein Unwesen trieb – auf Kosten westlicher Gelder. Die Hilfsorganisationen, so erfährt man, »waren verrückt nach diesem Land«, weil Ruanda, das »Land des ewigen Frühlings« war, und weil es hier »keine Neger gab«. Die Menschen »sahen zwar so aus«, waren tatsächlich aber »afrikanische Preußen«.
Bärfuss will also die Provokation. Er will die eidgenössische Integrität unbedingt mit einem gewaltigen Makel versehen. Der Autor hat intensiv recherchiert, auch Vorort, und es ist eine Leistung dieses Romans, dass das historische Material gut in der fiktiven Geschichte aufgehoben ist, dass die realen Tatsachen nie wie Text-Implantate wirken. Leider ist der Auftakt ganz und gar miserabel.
Der schweizerische Entwicklungshelfer David Hohl beobachtet am Flughafen in Brüssel, wie eine Afrikanerin von Zöllnern schikaniert wird. Als er ihr zur Hilfe eilen will, hat diese nur Häme für ihn übrig. Der junge Idealist verdaut diese Schmach nur schlecht und es entfaltet sich ein wahres Stilblütenbouquet, wenn eine »Kerbe, in die Seele geschlagen« und hernach die »Schande vom Leib gewaschen« wird. Dass mit dieser »Wunde« auch der Plot zu schwelen anfängt, ist eine der Schwächen des Buches. Aber weiter lesen lohnt allemal, denn es entpuppt sich noch ein starkes Stück politischer Literatur.
In Kigali trifft David die Frau wieder und verfällt ihr, der zickigen und schließlich mörderischen Agathe. Doch gerade ihre Kaltschnäuzigkeit bringt David um den Verstand und parallel zur sexuellen Obsession des Paares entlädt sich die blutrünstige Konfrontation des Volkes. Als mit dem Abschuss der Präsidentenmaschine am 6. April 1994 der hunderttägige Genozid einsetzt, verschanzt sich David in seinem Haus, anstatt die rettende Maschine nach Europa zu nehmen, und man fragt sich warum. Dass er wegen Agathe bleibt, ist nicht viel mehr als hohle Behauptung und nur für den Klappentext von Belang, da sich von der kratzbürstigen Geliebten nach einigen Kopulationsszenen vorerst jede Spur im Roman verliert.
Tatsächlich will Bärfuss mit seinem Held in Ruanda bleiben, um von den Perversionen des Tötens zu erzählen. Denn angesichts »langweiliger« humanitärer Fürsorge und »ereignisloser Tage« kommt kein Autor richtig in Fahrt. Eine Kundgebung hingegen, auf der zum Meucheln aufgerufen wird, »war aufregender als jedes Rockkonzert, denn hier ging es um Leben und Tod«. Und die Gewalttätigkeit dynamisiert auch die Erzählung, deren Tonart der Sarkasmus ist. Immer wieder ist die schweizerische »Rechtschaffenheit« Ziel des Bärfussschen bitterbösen Hohns.
So »kritisierte« die Schweizer Direktion zwar die prägenozidalen Aktivitäten, aber ließ die mordenden Beamten auch »spüren, dass dies nicht ein Zeichen unserer Untreue, sondern ganz im Gegenteil, unserer Liebe war, wie man ein Kind tadelt, weil man es liebt«. Für diese Arglosigkeit und einer Immunität gegenüber existentieller Angst, hat Bärfuss auch eine Erklärung parat: Schweizer hätten »Krieg nie am eigenen Leib erfahren.«
Trotz seiner provokanten, etwas gewollten Wucht, ist der Roman an ganz anderen Stellen am stärksten. Weder Liebe noch Gewalt bilden, wie behauptet, das epische Kraftfeld. Es ist das Tier. Die Begegnung mit den Gorillas in den Virungas gerinnt zu einer Szene von hypnotischer Entrücktheit: »Die Gorillas waren die Könige dieses Landes, die spirituellen Führer«. Neben der Wanderung zu den Primaten ist es die Aufzucht eines Bussards, die David für kurze Zeit mit der Schöpfung versöhnt.
Aber die Tiere haben nur eine geringe Entlastungsfunktion. Bärfuss erlaubt sich auch hier kein Sentiment. In die Meditation über das Wesen des Gorillas fällt ein halbdutzendfacher Kindermord und der Bussard verdankt sein glänzendes Fell letztlich erbeutetem Menschenfleisch. David macht nach dieser Entdeckung kurzen Prozess mit dem Vogel. Es gibt kein Entkommen vor dem Bärfussschem Sarkasmus. Schließlich sei dem Tier-verrückten Europäer eine vom Aussterben bedrohte Affenart heiliger als Hungerleidende, deren es überall auf der Welt zu viele gibt.
Lukas Bärfuss hat ein wichtiges Buch geschrieben über eine junge und halb vergessene Menschheits-Tragödie. Er erzählt nicht zuletzt von dem unverschließbaren Riss, der durch die Hemisphären geht, jenem zwischen Schwarz und Weiß. Noch von der moribunden Agathe fühlt sich David verhöhnt, denn ihre spöttische Vision erfüllt sich. Ein Flugzeug, engelsgleich, bringt das Europäerkind weg aus dieser afrikanischen Hölle.
Am Ende landet der »große weiße Engel« und bringt den geschlagenen Helden zurück in das Land der »Unschuldigen«. Was so märchenhaft klingt, ist das Finale eines Höllentrips. Der preisgekrönte Dramatiker Lukas Bärfuss erzählt in seinem Romandebüt vom Völkermord in Ruanda, von vergeblicher Entwicklungshilfe und schuldhaften Verstrickungen. Ganz unverhohlen macht er sein Heimatland, die Schweiz, mitverantwortlich am achthundertausendfachen Mord der »Hutu« an den »Tutsi«. Wie das?
Bärfuss behauptet, dass in jahrzehntelanger Aufbauhilfe aus ruandischen Ackerbauern und Viehzüchtern redliche Vollstrecker »unserer Tugenden« geworden sind. »Disziplin« und »Ordnung« seien schließlich die »Voraussetzung für einen Massenmord«. Die Demokratie-Versessenheit der Europäer habe sie blind dafür gemacht, dass hinter der republikanischen Fassade der Präsidentschaft Habyarimanas ein diktatorischer Clan sein Unwesen trieb – auf Kosten westlicher Gelder. Die Hilfsorganisationen, so erfährt man, »waren verrückt nach diesem Land«, weil Ruanda, das »Land des ewigen Frühlings« war, und weil es hier »keine Neger gab«. Die Menschen »sahen zwar so aus«, waren tatsächlich aber »afrikanische Preußen«.
Bärfuss will also die Provokation. Er will die eidgenössische Integrität unbedingt mit einem gewaltigen Makel versehen. Der Autor hat intensiv recherchiert, auch Vorort, und es ist eine Leistung dieses Romans, dass das historische Material gut in der fiktiven Geschichte aufgehoben ist, dass die realen Tatsachen nie wie Text-Implantate wirken. Leider ist der Auftakt ganz und gar miserabel.
Der schweizerische Entwicklungshelfer David Hohl beobachtet am Flughafen in Brüssel, wie eine Afrikanerin von Zöllnern schikaniert wird. Als er ihr zur Hilfe eilen will, hat diese nur Häme für ihn übrig. Der junge Idealist verdaut diese Schmach nur schlecht und es entfaltet sich ein wahres Stilblütenbouquet, wenn eine »Kerbe, in die Seele geschlagen« und hernach die »Schande vom Leib gewaschen« wird. Dass mit dieser »Wunde« auch der Plot zu schwelen anfängt, ist eine der Schwächen des Buches. Aber weiter lesen lohnt allemal, denn es entpuppt sich noch ein starkes Stück politischer Literatur.
In Kigali trifft David die Frau wieder und verfällt ihr, der zickigen und schließlich mörderischen Agathe. Doch gerade ihre Kaltschnäuzigkeit bringt David um den Verstand und parallel zur sexuellen Obsession des Paares entlädt sich die blutrünstige Konfrontation des Volkes. Als mit dem Abschuss der Präsidentenmaschine am 6. April 1994 der hunderttägige Genozid einsetzt, verschanzt sich David in seinem Haus, anstatt die rettende Maschine nach Europa zu nehmen, und man fragt sich warum. Dass er wegen Agathe bleibt, ist nicht viel mehr als hohle Behauptung und nur für den Klappentext von Belang, da sich von der kratzbürstigen Geliebten nach einigen Kopulationsszenen vorerst jede Spur im Roman verliert.
Tatsächlich will Bärfuss mit seinem Held in Ruanda bleiben, um von den Perversionen des Tötens zu erzählen. Denn angesichts »langweiliger« humanitärer Fürsorge und »ereignisloser Tage« kommt kein Autor richtig in Fahrt. Eine Kundgebung hingegen, auf der zum Meucheln aufgerufen wird, »war aufregender als jedes Rockkonzert, denn hier ging es um Leben und Tod«. Und die Gewalttätigkeit dynamisiert auch die Erzählung, deren Tonart der Sarkasmus ist. Immer wieder ist die schweizerische »Rechtschaffenheit« Ziel des Bärfussschen bitterbösen Hohns.
So »kritisierte« die Schweizer Direktion zwar die prägenozidalen Aktivitäten, aber ließ die mordenden Beamten auch »spüren, dass dies nicht ein Zeichen unserer Untreue, sondern ganz im Gegenteil, unserer Liebe war, wie man ein Kind tadelt, weil man es liebt«. Für diese Arglosigkeit und einer Immunität gegenüber existentieller Angst, hat Bärfuss auch eine Erklärung parat: Schweizer hätten »Krieg nie am eigenen Leib erfahren.«
Trotz seiner provokanten, etwas gewollten Wucht, ist der Roman an ganz anderen Stellen am stärksten. Weder Liebe noch Gewalt bilden, wie behauptet, das epische Kraftfeld. Es ist das Tier. Die Begegnung mit den Gorillas in den Virungas gerinnt zu einer Szene von hypnotischer Entrücktheit: »Die Gorillas waren die Könige dieses Landes, die spirituellen Führer«. Neben der Wanderung zu den Primaten ist es die Aufzucht eines Bussards, die David für kurze Zeit mit der Schöpfung versöhnt.
Aber die Tiere haben nur eine geringe Entlastungsfunktion. Bärfuss erlaubt sich auch hier kein Sentiment. In die Meditation über das Wesen des Gorillas fällt ein halbdutzendfacher Kindermord und der Bussard verdankt sein glänzendes Fell letztlich erbeutetem Menschenfleisch. David macht nach dieser Entdeckung kurzen Prozess mit dem Vogel. Es gibt kein Entkommen vor dem Bärfussschem Sarkasmus. Schließlich sei dem Tier-verrückten Europäer eine vom Aussterben bedrohte Affenart heiliger als Hungerleidende, deren es überall auf der Welt zu viele gibt.
Lukas Bärfuss hat ein wichtiges Buch geschrieben über eine junge und halb vergessene Menschheits-Tragödie. Er erzählt nicht zuletzt von dem unverschließbaren Riss, der durch die Hemisphären geht, jenem zwischen Schwarz und Weiß. Noch von der moribunden Agathe fühlt sich David verhöhnt, denn ihre spöttische Vision erfüllt sich. Ein Flugzeug, engelsgleich, bringt das Europäerkind weg aus dieser afrikanischen Hölle.
Lukas Bärfuss, Hundert Tage. Roman, Wallstein Verlag, 197 Seiten, 19.90 Euro
Anousch - 4. Mai, 18:38
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