Act. Comm.

Das klingt denn doch...
Das klingt denn doch zu defaitistisch. ;)
tinius - 2. Apr, 01:29
Ja,
kaum schreibe ich einen Artikel, geht alles den Bach...
Anousch - 2. Apr, 00:17
Zumindest die letzten...
Zumindest die letzten Informationen sind nicht mehr...
tinius - 20. Mär, 01:34

Post

anja.odra bei web.de

Friedman

Donnerstag, 20. März 2008

Lesen ist Vorfreude

Michel Friedmans neue Literatursendung auf dem Büchersender
»Lettra«


»In der Lüge liegt die Zukunft der Liebe«. Mit diesen Worten schloss Michel Friedman die erste Folge von Lieber Lesen!, einer von rund 40 Sendungen des neuen Literaturkanals Lettra. Es liegt eine leichte Provokation in diesen Worten zum Roman Dunkle Materie des israelischen Schriftstellers Aner Shalev. Aber von Michel Friedman ist man noch schärferen Zunder gewohnt.
Michel Friedman war einmal eine willkommene Zumutung in den seichten Niederungen öffentlich-rechtlicher Fernsehdebatten. Nun moderiert der Homo Politicus gleich zwei Bücher-Sendungen auf dem Pay-TV-Kanal Lettra.
Neben Lieber Lesen! diskutiert er in Friedmans Agenda aktuelle Themen ausgehend von einem Buch oder einem Gedicht. Der einst als maßlos und anmaßend verschriene Moderator charakterisiert seine neue Rolle so: »Ich bin nur ein kompetenter Leser und kein Literaturkritiker, das sage ich in aller Klarheit und aller Demut.« Dieser Weg vom »gefürchtetsten politischen Moderator« zum botmäßigen Buchbesprecher beschreibt auch spezifische Wechselwirkungen von Literatur und Fernsehen und von Realitäten in den Öffentlich-Rechtlichen und Visionen der digitalen Spartenprogramme.

In ARD und ZDF gibt es gegenwärtig zwei Büchersendungen: Druckfrisch mit Denis Scheck und Lesen! mit Elke Heidenreich. Denis Schecks Sendung, die dem Prinzip Selbstinszenierung gehorcht, hat einen gewaltigen Makel, der den Moderator geradezu moralisch disqualifiziert: Verrissene Bücher werden von ihm einfach in eine Tonne geschleudert. Eine extrem unangenehme, ja unanständige Geste. Dass sich diese Geste durchgesetzt hat, beweist, wie mächtig Denis Scheck im medialen Literaturbetrieb ist, auch weil er die Rolle des Inquisitors monologisierend alleine bestreitet. Seiner Kollegin Elke Heidenreich kann man wenigstens zu Gute halten, dass sie ihre Funktion als »Literaturpäpstin« nicht dazu missbraucht, um literarische Existenzen Zugrunde zurichten, wie einst ihre Vorgänger des Literarischen Quartetts.

Literatur und Anverwandtes hat im Fernsehen mitunter den Ruch des Soften, des Nonchalanten. Ulrich Wickert machte das zuletzt in der ARD vor, bis ihm der Altersruhesitz im roten Lese-Sessel offenbar selbst zu langweilig wurde, weswegen er jetzt zoomer.de, ein poppiges Online-Nachrichtenportal, herausgibt und die Leserschaft via Videoblog kumpelhaft duzt. Und Matthias Matussek, der degradierte Ex-Spiegel-Kulturchef reist nun für die ARD als träger Hosenträger-Träger humorlos und unambitioniert durch die Welt, ein bisschen Kulturgeschwätz hier, ein bisschen Philosophiegefasel da. Fernsehfeuilleton nennt sich diese Verweigerung rhetorischer und telegener Brillanz. Ganz im Gegensatz zum öffentlich-rechtlichen Radio ist Kultur im Fernsehen also die letzte Zuflucht für die Gescheiterten und Geschassten?
Wenn nichts mehr geht, geht Kultur?

Auch Michel Friedman hätte man diese Frage stellen können. Nachdem Moral und Skandal im Sommer 2003 so medienwirksam kollidierten, verschwand der Moderator von der öffentlich-rechtlichen Mattscheibe und moderierte seither auf dem Premiere-Kanal 13th Street die Sendung Im Zweifel für… Friedmans Talk und auf dem Privatsender N24 einen weiteren Polit-Talk. Das Engagement beim Spartenkanal Lettra ist aber mitnichten eine Degradierung im Sinne der medialen Ökonomie der Aufmerksamkeit. Für Michel Friedman ist es vielmehr eine Rückkehr zum Ursprung seiner rhetorischen Prägung: »Die Grundlage meines gesprochenen Wortes ist das geschriebene Wort. Ich bin schon als Kind von meinen Eltern erzogen worden: lesen, lesen, lesen!«

Ein eigener Fernsehkanal für Literatur klingt nach dem Gegenteil von Profitdenken, nach einer Absage an Rentabilität, nach Nische. Seit November 2007 jedoch strahlt Lettra ein kunterbuntes Fernsehprogramm rund ums Buch aus, darunter Live-Shows, Home-Stories, Autoren-Portraits, Reisereportagen, Kinderbuchprogramme, eine Leseküche, eine Blog-Show und vieles mehr. Die Performance des Senders erinnert ein wenig an 3-Sat und Arte, das liegt vielleicht in der Natur der Sache. Und während ARD und ZDF ihre Büchersendungen auf Halbstundenformat rationieren, schmiedet das Bezahlfernsehen eine neue Allianz zwischen Literatur und Television.
Insbesondere in seiner Sendung Vorsicht Friedman! hatte Michel Friedman geradezu voyeuristische Bedürfnisse befriedigt: man konnte hier jemanden beobachten, der seinen Gästen stets ein wenig zu nahe trat, nicht nur verbal, auch körperlich, man sah hier jemanden, der kräftig überzog, einen, der nicht nur diskutierte, sondern kämpfte, der mit dem ganzen Einsatz die Gunst von Zuschauern und Diskutanten auf eine harte Probe stellte.
Ist das in einer Literatursendung zu leisten? Der Verriss wäre die angemessene Form, um in die Kameras zu skandieren. Allein, nichts liegt Michel Friedman ferner:
»Ich habe allergrößten Respekt vor einem Menschen, der ein Buch schreibt. Loben will ich, ich will loben, und höchstens kritisch anmerken was einem nicht gefällt.«
Nicht zuletzt durch das Verfassen seines Buches Kaddisch vor Morgengrauen weiß er, »wie viel Seele, wie viel Kraft, wie viel Arbeit das bedeutet.«

Wer nun glaubt, Michel Friedman sei die Verve abhanden gekommen, irrt. Wie eh und je verteidigt er mit Vehemenz seinen Standpunkt und lauert lustvoll auf jeden Anlass zum gepflegten Streit. Gefragt nach der spezifisch intellektuellen Anstrengung von Lektüre hält er ein: »Ich würde den Begriff ‚intellektuelle’ gerne rausnehmen, weil ich mich vor jeder elitären Bewertung hüte. Aber ‚Anstrengung’ lasse ich gerne stehen. Lesen ist Anstrengung, aber diese Anstrengung wird enorm belohnt.« Das wichtigste Buch seines Lebens habe er mit 17 Jahren gelesen, Simone de Beauvoirs Alle Menschen sind sterblich. Aber auch an dieser Stelle wird er bescheiden: »Ich habe nie nur sogenannte elitäre Literatur gelesen, genauso Johannes Mario Simmel, Harold Robbins und Leon Uris. Mich interessiert die ganze Palette der Erzählweisen.« Ein spezielles Interesse an jüdischen Autoren hat er nicht, in der Sache der Literatur ist er eindeutig auf Seiten »der Sprache und der Figuren«. Ganz unterschiedliche Lektüren riefen etwas in ihm vor, »nämlich eine Vorfreude auf die nächste Überraschung«.

Letzte Frage, Herr Friedman: »Was macht Literatur aus uns?«
»Sie macht aus uns Menschen«.
»Punkt«?
»Ja, sie öffnet unsere Seele«.
Das Projekt Lettra ist nach Angaben des Geschäftsführers Jan Henne De Dijn mit 3 Millionen Euro für drei Jahre finanziert, wovon zwei Millionen öffentliche Zuschüsse und Fördermittel der Länder Berlin und Brandenburg sind. Man staunt. Lettra-Chefredakteur Carsten Meincke attestiert den Öffentlich-Rechtlichen mit der Verbannung von Literatursendungen ins Nachtprogramm »einen falschen Weg zu gehen« und hofft natürlich, davon zu profitieren.
Und solange Steuergelder und GEZ-Gebühren die Dauerpräsenz des Triumphators des Mediokren, Johannes B. Kerner, und den Abstieg des pochernden Harald Schmidts sichern, ist man beinah gezwungen Lettra alles Gute zu wünschen.


(Erschienen in: Jüdische Zeitung, März 2008)

Pic.

null

Reg.

 

Reclam.

On/Off.

Du bist nicht angemeldet.

Bärfuss
Broder vs. Niggemeier
Friedman
Sen
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren